
9. Kapitel: San Francisco und Nord-Kalifornien
Kalifornien ist groß. Um ein Viertel größer als Deutschland. Daher bekommt es noch ein Kapitel.
Jetzt geht es endlich nach San Francisco. Bis dahin sind es jetzt noch 46 Meilen.
Bald taucht die Skyline auf. Die Transamerica Pyramid mit ihren prägnanten Flügeln ist deutlich zu erkennen.
So wie alle amerikanischen Städte - auch die kleinsten - sind auch die „Straßen von San Francisco“ (Karl Malden schau oba) schachbrettartig angelegt. Die äußerst hügelige Topographie wurde dabei einfach ignoriert. Beim Suchen nach unserem RV-Park können wir uns gleich von den halsbrecherisch steilen Straßen überzeugen.
Unsere heutige Wohngegend ist weniger elegant als die gestrige. Es handelt sich um einen Betonplatz neben einer Gstetten mit „Lit(t)eratur“- littering. Der Preis würde allerdings besser zum gestrigen Villenviertel passen. Trotzdem werden wir vier Nächte hierbleiben, besseres gibt es nicht. Wir machen Pläne für die nächsten Tage. Bei einem Spaziergang finden wir eine Bushaltestelle. Vielleicht nehmen wir morgen den öffentlichen Bus in die Stadt, statt des teuren Shuttles.
Sa, 24. Juni
Wir schreiten also zur Eroberung der Stadt.
San Francisco gehört zu den ältesten Städten der USA. Ursprünglich war sie eine Missionsstation von Franziskanermönchen. 1846 fiel sie im mexikanisch-amerikanischen Krieg kampflos an die Amerikaner. 1906 zerstörte ein Erdbeben samt Feuersbrunst 80% aller Gebäude. Die Entwicklung zur Metropole ließ sich aber dadurch nicht aufhalten. Heute leben ca. 800.000 Menschen in der Stadt.
Zuerst verschlägt es uns nach SOMA =South of Market Street. Das waren früher die Slums. Heute ist das zwar nicht mehr so, aber die vielen Obdachlosen - „zufällig“ die meisten davon schwarz - die hier auf den Gehsteigen sitzen oder liegen, erschüttern die romantische Vorstellung, die wir bisher von San Francisco hatten, gewaltig.
Auf der Plaza des Civic Centers findet gerade das „Pride Festival“ statt, sehr bunt, sehr laut, viele Regenbogen-Fahnen. Die Gay-Community, die ja in San Francisco sehr groß ist, feiert stolz die „Diversity“. Ein Text der Band „Metallica“, die ja hier ansässig ist, passt da gut: „Open mind for a different view...“ Viele äußerst leicht geschürzte Gestalten sind hier unterwegs, sogar einige ganz nackt- erstaunlich für das prüde Amerika. Und das in unmittelbarer Nachbarschaft der Verwaltungsgebäude. Die City Hall passt allerdings irgendwie dazu. Sie schmückt sich mit einer bunten Kuppel, die der des Petersdoms in Rom nachempfunden ist, „Jessas!“. Auch die Kulturtempel, Oper und Symphony Hall stehen hier.
Wir widmen uns unseren touristischen Aufgaben und wandern zum Union Square. Hier gefällt es mir gut. Hochhäuser im Art déco Stil neben modernen Hochhäusern und ein Platz voller Leben. Bei der Cable Car Endstation Ecke Market Street und Powell Street schauen wir beim Wendemanöver zu, das wie eh und je von Hand durchgeführt wird, auf einer Drehscheibe. Wir fahren allerdings mit einem „Clean Air Bus“, einem Elektro-Autobus zur Bucht. Das Stadtgebiet von „Frisco“, wie die Stadt liebevoll genannt wird, ist fast quadratisch, eine breite Landzunge zwischen Pazifik und der San Francisco Bay, die oben - im Norden - beim Golden Gate zusammenkommen. Über dieses Gate führt die berühmte rote Golden Gate Bridge auf die Landzunge hinüber, die sich von Norden nach Süden erstreckt.
Das „Goldene Tor“ in die Bucht von San Francisco ist etwas mehr als 2,5km breit und bis zu 30m tief. Die ständigen Nebel waren früher für die Fähren sehr gefährlich. Auch „Der Seewolf“, Jack Londons Roman aus 1904 beginnt mit solch einem Unglück. Die Brücke wurde 1937 eröffnet. Damals war sie die längste Hängebrücke der Welt.
Sehr oft hängt der Nebel an der Brücke- wie auch heute. In den westlichen Vororten ist es dann recht kühl, während es im Stadtzentrum warm und sonnig ist.
Im Hafen liegen einige historische Schiffe. Man kann auch auf die ehemals berüchtigte Gefängnisinsel Alcatraz hinüberschauen. Ich habe gedacht, dass die viel weiter vom Festland weg ist. Eiskaltes Wasser und tückische Strömungen ließen trotzdem alle Fluchtversuche scheitern. Bereits in den 1960er-Jahren wurde das Gefängnis aufgelassen. Danach war die Insel für einige Zeit von Indianern besetzt. Jetzt ist sie eine Touristenattraktion.
Vom öffentlichen Sandstrand aus bewundern wir ein paar abgehärtete Schwimmer, einige davon sind Seehunde. Uns wäre es zum Baden viel zu kalt. Wir marschieren zur Cannery, der ehemaligen Konservenfabrik. Und nun geht es in der Hyde Street steil bergauf. Die laut bimmelnden Cable Cars werden von unterirdischen Seilen gezogen, damit sie die enormen Steigungen bewältigen können. Busse und Vans dürfen hier nicht fahren. Von oben haben wir eine tollen Blick auf die Bucht. Außerdem können wir von hier aus auf die Blumen geschmückte Lombard Street hinunterschauen- eine Art Strudelhofstiege für Autos. Es wagen sich auch tatsächlich einige Wagen die steilen Serpentinen hinunter, lauter Touristen. Unser Bergauf-Training geht weiter, zum Coit Tower auf dem Telegraph Hill, auf dem es früher Signaleinrichtungen gab, die den Bürgern der Stadt einlaufende Schiffe signalisierten. Lillie Hitchcock Coit aus der High Society wurde als Kind aus den Flammen gerettet und war seither eine glühende Verehrerin der Feuerwehr und deren selbst ernanntes Maskottchen. 1929 hinterließ sie der Stadt Geld für die Errichtung des nach ihr benannten Aussichtsturms. Interessant sind die - teilweise sozialkritischen - bunten Wandmalereien im Inneren. Die Aussicht von dieser grünen Oase aus auf die Stadt und auf die Bucht ist besonders schön.
Wir sind jetzt ziemlich müde. Schließlich sind wir heute über 16km marschiert, bergauf und bergab. Also nehmen wir den Bus nach Hause und besichtigen bei der Gelegenheit ganz unerwartet China Town. Der chinesische Bevölkerungsanteil in San Francisco ist ziemlich groß. Es ist uns schon aufgefallen, dass die Durchsagen in den Öffentlichen Verkehrsmitteln englisch, spanisch und chinesisch sind.
So, 25. Juni
Heute ist es noch kühler als gestern. Der Himmel ist sehr bedeckt. Wir fahren mit der Straßenbahn in die Stadt. Bei „Cupid’s Span“, beim Rincon Park an der Bay, wo Cupido seinen Pfeil - samt Bogen - in die Wiese geschossen hat, steigen wir aus. Wahrscheinlich hat er sich in die Stadt verliebt. Gleich daneben steht die Oakland Bay Bridge. Diese Stahlbrücke ist immer ohne jede Wolke zu sehen, aber leider ist sie nicht rot und führt außerdem nicht über das Golden Gate. Meinen Vorschlag, sie mit Photoshop rot zu färben, lehnt Klaus ab ;-).
Am Ferry Building – schaut ein wenig aus wie der Big Ben - vorbei geht es zum Embarcadero Center. Es besteht aus sechs Wolkenkratzern, die miteinander verbunden sind. Es beherbergt Büros, Hotels, Geschäfte, Lokale. Hier kommen wir auch der „Transamerica Pyramide“ sehr nahe- untypisch dünn und schmal mit zwei aufgesetzten Flügeln.
Unvermittelt geraten wir in die große Regenbogenparade, die offensichtlich auch zum Pride Festival gehört- farbenfroh, laut, fröhliche Stimmung. Da lacht das Fotografenherz. Ca. 100.000 Teilnehmende ziehen in einem nicht enden wollenden Zug vorbei, tanzend und musizierend. Auch viele bunten Wagen sind dabei, die von Firmen gesponsert wurden, auch Autobusse, Sight Seeing Busse, usw. „Thrive with Pride“ steht als Motto auf vielen Luftballons. Jetzt peilen wir die China Town an. Das Drachentor haben wir ja gestern nicht gesehen.
Mittlerweile ist es ziemlich sonnig geworden. Also eilen wir zum Presidio Park. Hier wandert man in der Wildnis und doch ganz nahe am Stadtzentrum. Bis 1994 war hier die größte Militärbasis der amerikanischen Westküste. Den Truppenübungsplatz sieht man dem 6km2 großen Waldstück wirklich nicht mehr an. Höchstens der große Soldatenfriedhof könnte es erahnen lassen. 1994 wurde auch der Flughafen am Wasser aufgelassen und das Flugfeld bepflanzt und begrünt. Und ein Strand wurde angelegt. Wilde Tiere und seltene Pflanzen leben in diesem Park. Viele Wanderer und Radfahrer sind unterwegs. Auch wir wandern. Von hier aus haben wir einen besonders schönen Blick auf die Golden Gate Bridge. Sie ist ganz nah und vor allem - heute - wolkenfrei. Gestern ist ja der obere Teil im Nebel verschwunden. Von hier aus wirkt sie gar nicht mehr so klein und filigran. Die feuerroten Stahlpylonen sind nämlich mehr als 200m hoch. Nun suchen wir den „Spire“, eines der wenigen Werke von Andy Goldsworthy, das man besichtigen kann. Sie bestehen ja alle aus Naturmaterialien und sind daher vergänglich, unterschiedlich rasch. Diese Skulptur hier stammt aus 2008. Sie ist 30m hoch und wurde aus 38 abgestorbenen Zypressenstämmen errichtet. Rundherum wurden Bäumchen gepflanzt. Eines Tages wird das Kunstwerk überwuchert und nicht mehr zu sehen sein- ein wundersames, surreales Naturdenkmal. Das Presidio ist einer der schönsten Flecken der Stadt.
Jetzt sind wir hungrig. Die Fresstempel, Fisherman’s Wharf, und Pier 39 sagen uns überhaupt nicht zu. Wir machen es uns lieber in einer Pizzeria, etwas abseits dieser Touristenfallen, gemütlich.
Mo, 26. Juni
Heute ist der sonnigste Tag in San Francisco. Wegen des großen Erfolgs fahren wir wieder mit der Straßenbahn in die City.
Der erste Punkt der Tagesordnung ist heute das SF MOMA = San Francisco Museum Of Modern Art. Es besticht durch seine ungewöhnliche Architektur und den Rooftop Sculpture Garden. Die Mobiles von Alexander Calder gefallen mir besonders gut.
In Downtown stehen die Hochhäuser, ansonsten ziehen sich eher kleinere Häuser die Hügel hinauf, oft in Pastelltönen. Die bekanntesten sind die „Painted Ladies“ auf dem Alamo Square. Das ist zwar ein Ausdruck für Prostituierte, aber diese „Damen“ kommen mir eher dezent geschminkt vor. Es gab bis zum großen Erdbeben von 1906 viele solcher viktorianischer Häuser. Nur diese wenigen sind damals nicht eingestürzt. Der idyllische Alamo Park gegenüber trägt auch dazu bei, dass die Wohngegend hier ganz besonders nett ist.
Wir haben die Stadt nun gründlich abgearbeitet. Es gibt sehr nette Ecken in San Francisco. Die Stadt ist interessant, hat Charme und strahlt Lebensfreude aus. Die vielen grünen Inseln, großen Parks und Strände an der Bay sind sehr schön. Die andere Seite sind die zahlreichen Obdachlosen und die ziemlich ärmlichen und dreckigen Außenbezirke. Meine Gefühle für Frisco sind zwiespältig.
Di, 27. Juni
Es passt uns sehr gut, dass wir wieder losziehen. „Wir sind schon viel zu lange hier. Es bleibt die Sehnsucht uns Begleiter. Und alle Welt ist uns Quartier“.
Wir verabschieden uns von der Stadt, in dem wir sie stilgerecht über die Golden Gate Bridge verlassen. Auch heute ist sie nebelfrei. Auf der anderen Seite geht es steil bergauf, was viele Aussichtspunkte auf die Brücke und auf die Stadt bietet. Wir fahren durch den Robin Williams Tunnel. 2014 hat sich der berühmte Schauspieler das Leben genommen, und seine Asche wurde in die Bay von San Francisco gestreut.
Wir fahren weiter nach Norden ins Napa Valley, das berühmte Weinbaugebiet von Kalifornien. Die Weine von hier gehören zu den besten der Welt. Wir finden einen idyllischen „wilden“ Schlafplatz am Rande eines kleinen Wäldchens inmitten von Weinbergen. Klaus liest gerade in seinem Karl May-Buch, wie Old Shatterhand San Francisco verlassen hat, um nach Sacramento zu reiten- interessante Parallelen. Die Geschichte spielt ca. 1880. Da hat sich in der Zwischenzeit das eine oder andere verändert.
Mi, 28. Juni
Den Vormittag verbringen wir sehr gemütlich mit Lesen und einem Spaziergang.
Dann fahren wir in den netten Weinort an einem Fluss, Napa. Wir sind ja heute Abend bei einem älteren Ehepaar in der Nähe von Sacramento eingeladen. Wir haben die beiden vor drei Monaten in Washington D.C. in der U-Bahn getroffen, und der Funke ist gleich übergesprungen. Sie haben uns damals spontan eingeladen. Als Gastgeschenk wollen wir eine gute Flasche Wein mitbringen. Auf diese Weise kommt Klaus zu einer Verkostung sehr edler Tropfen in sehr edlem Ambiente. In dieser kleinen Stadt werden fast in jedem Haus Weine angeboten.
Den Abend in Davis, bei der Englischlehrerin, Nancy und dem Augenarzt, John genießen wir sehr. Die kleine Stadt ist überaus nett. Auch in ihrem Garten steckt das Schild: „No matter, where you are from, we are glad, you are our neighbor.“ Die Nacht verbringen wir vor ihrem hübschen Holzhaus, natürlich in unserem Wohnmobil.
Erzählenswert finde ich folgende Geschichte. Als der jüngste Sohn unserer Freunde noch klein war, waren sie auf eine Hochzeit eines Katholiken mit einer Jüdin eingeladen. Ein katholischer Priester und ein Rabbi nahmen die Trauung vor. Beide hatten lange Bärte. In eine andächtige Pause hinein fragte der kleine Bub laut und vernehmlich: “Wer von beiden ist nun Gott?“ Klaus hat darauf gleich eine Antwort parat: „Call 855 for the Truth“.
Do, 29. Juni
Wir folgen einer Empfehlung unserer Freunde und frühstücken in the Austrian bakery „Konditorei“, die sich in dieser Stadt großer Beliebtheit erfreut. Der warme Apfelstrudel mit Schlagobers ist köstlich. Hier können wir auch nach langer Zeit wieder einmal ein Brot kaufen, das wirklich nach unserem Geschmack ist.
Nach dieser kulinarischen Explosion in unserem Gaumen, machen wir uns wieder auf den Weg. Auf einem scenic highway fahren wir nach Nordwesten. Wir kommen an Mendocino vorbei, in das ja Michael Holm Anfang der 1970er-Jahre täglich fuhr, und an jede Tür klopfte, um sein Girl zu finden ;-). Nach ca. 300km erreichen wir unser Tagesziel, Fort Bragg am Pazifik. Hier am Wasser ist es wieder ziemlich kalt. Unser Nachtquartier schlagen wir auf dem Parkplatz der historischen „Skunk Train“ auf. Wir werden immer frecher. Jetzt machen wir das fast schon so wie in Europa.
Fr, 30. Juni
Wir fahren weiter nach Norden, zunächst wieder auf dem Highway #1 am Meer entlang.
Auf einem kleinen Campingplatz ohne Aufsichtsperson füllen wir unseren Wassertank und sind nun wieder gewappnet für weitere „wilde“ Abendteuer.
Nun biegen wir ins Küstengebirge ab, zu den Coastal Redwoods. Solche majestätische Mammutbäume haben wir ja schon vor einer Woche auf unserem Campingplatz in Felton gesehen. Aber hier sind sie viel größer. Durch einen kann man sogar mit dem Auto durchfahren. Der „Drive Thru Tree“ wurde 1930 extra dafür ausgeschnitten. Unser Wohnmobil ist zu groß und passt nicht durch, aber wir können zuschauen, wie andere Autos durchfahren. „Chandelier Tree“ heißt der wunderschöne Baum. Er ist 95,5m hoch und über 6m dick. 2400 Jahre hat er bereits gelebt und vieles durchgestanden, um dann auf seine alten Tage derartig verstümmelt zu werden. Wir halten das für ziemlich dekadent. So etwas gefällt uns gar nicht.
In Garberville biegen wir in die „Avenue of Giants“ ab. Bei einem Spaziergang sind wir sofort wieder im Märchenwald. Die Bäume wachsen buchstäblich in den Himmel. Es ist uns ganz ehrfürchtig zu Mute. Die Coastal Redwoods werden noch höher als die Sequoias, oft über 100m, aber lange nicht so dick. Auch sie sind Flachwurzler und fallen daher irgendwann um, wenn sie zu groß geworden sind und ihre Balance nicht mehr halten können.
Früher waren weite Strecken der Küste mit Redwoods bewachsen. Sie wurden heftig abgeholzt. Das war ein wunderbares Bauholz, fast nicht verrottbar und viel dran an so einem Baum. Außerdem ist die rote Farbe auch noch schön. Wir haben ja solche rotbraunen Häuser gesehen. Schon 1921 gab es die „Save-the-Redwoods League“, die Waldstücke aufgekauft hat, um diese Bäume zu retten.
Die Riesen, die jetzt noch übrig sind, stehen mittlerweile unter Naturschutz. Aber noch in den 1970er-Jahren machte Julia Butterfly Hill Schlagzeilen, als sie über 2 Jahre in einem 600 Jahre alten Mammutbaum ausgeharrte. Sie und ihre Helfer waren schließlich erfolgreich, und ein Gebiet von ca. 12.000m2 wurde von der Holzindustrie verschont.
Für die Weiterfahrt wählen wir eine sehr schöne Strecke durch den Rockefeller Forest, die aber über abenteuerliche Straßen führt, „Rough Road“.
Wir träumen von einem idyllischen Schlafplatz am Meer. Hier auf Cape Mendocino - übrigens der westlichster Punkt, an dem wir jemals gewesen sind - ist es aber ziemlich stürmisch, und es regnet. Außerdem befinden wir uns in einer „Tsunami Hazard Zone“. Das ist uns nicht recht geheuer. Dieser Küstenabschnitt - er heißt nicht umsonst „Lost
Coast“ - ist schwer erreichbar. Es gibt keine größeren Highways und keine Durchzugsstraße. Man kann hier gar nicht am Ufer entlangfahren, wie wir uns das vorgestellt haben. Die enorme Steilheit und die damit verbundenen geotechnischen Herausforderung erschweren den Aufbau einer Infrastruktur. Spätestens seit den 1930er-Jahren ist diese Gegend fast völlig entvölkert. Die wenigen Ortschaften sind vom übrigen Kalifornien ziemlich abgeschottet und nur über die Berge erreichbar. Dahin hauen auch wir wieder ab und finden bald einen Platz zum Übernachten neben einer kaum befahrenen Straße. Im starken Wind und Nieselregen ist unsere Dankbarkeit über unser warmes Häuschen wieder einmal sehr groß. Es spendet uns Geborgenheit und alle Annehmlichkeiten in dieser Einsamkeit und völligen Finsternis. Wir haben hier natürlich kein Internet, kein Netz und auch keinen doppelten Boden ;-). Trotzdem ist wieder kein Bär vorbeigekommen, nicht einmal ein Wasch-Bär.
Sa, 1. Juli.
Der fünfte Monat unserer Reise beginnt.
Nieselregen, schlechte Sicht, und es ist ziemlich kalt: 10°. So wie man sich halt im Juli das Wetter in Kalifornien erwartet. Wir haben allerdings die berechtigte Hoffnung, dass es sich nur um die „Pazifik-Soße“ handelt, die bald aufreißen wird. Wir fahren durch einen Küstenregenwald. Durch den ständigen Sprühregen sind die Baumstämme und Äste mit Moos überzogen. Das erinnert uns an Costa Rica. Winzige Häschen hoppeln über die Straße. Wir müssen noch ein Stückchen „Rough Road“ hinter uns bringen, bis wir wieder in die Zivilisation kommen, und was für eine Zivilisation. Der Nebel reißt auf und bietet uns klare Sicht auf Ferndale. Wir sind hier - wie auf einer Zeitreise - im 19. Jhd. gelandet. Gleich beim Ortseingang begrüßt uns das Viktorianische Inn, ein Haus mit „Rüscherln“. Die ganze Hauptstraße entlang haben die einfachen Holzhäuser vorne bunte, reich verzierte Fassaden „aufgeklebt“, z.B. die Fassade von einem Schlösschen. Ein Haus ist netter als das andere. Alle sind sehr herzig. Die Geschäfte und Cafés sind altmodisch eingerichtet. Würden nicht Autos davor parken, könnte man das ganze für eine Filmkulisse halten. Trotzdem wirkt das Städtchen überhaupt nicht wie ein Touristenort. Ganz normale Leute wohnen hier, ca. 1.300 übrigens. Uns hat es hier sehr gut gefallen.
Wir sind weiter nach Norden Richtung Oregon unterwegs. Ab Eureka sind wir wieder auf einer Autobahn = freeway unterwegs, dem Redwood Highway, teilweise durch dichte Wälder, teilweise am Meer. Man merkt, dass es nach Norden geht. Alles wird etwas rauer und kühler. Wir haben bereits den Breitengrad von New York erreicht.
Im Jedediah Smith Redwood State Park verabschieden wir uns mit einer kleinen Wanderung von diesen schönen Bäumen- unforgettable.
Die Fahrt geht weiter, durch eine Schlucht, an einem wilden Fluss entlang. Ganz bis zur Grenze schaffen wir es heute nicht mehr. Heute schlafen wir wieder „wild“ im Wald.