
6. Kapitel: Kalifornien I
Sa, 20. Mai
Wir fahren zunächst nach Westen, bei 30°, bereits um 8h30. Wir überqueren den Colorado River - er hat den Grand Canyon gebildet - und sind nun in KALIFORNIEN. So viel Wasser, ein ganz ungewöhnlicher Anblick. Plötzlich ist alles grün. „Das Auge kann ausruhen“, meint Klaus. Kaum haben wir den Einzugsbereich des Flusses allerdings verlassen, sind wir wieder in der Wüste, sogar in einer richtigen Sandwüste mit hohen, hellbraunen Dünen, so weit das Auge reicht - wie in Jordanien. Statt der Kamele sind hier die jungen Leute mit ihren OHV = Off-Highway-Vehicles unterwegs. Ganz unwirklich erscheint uns ein Kanal, der mitten durchfließt. Er wurde vom Colorado-River abgeleitet und bietet offensichtlich das Wasser für groß angelegte, intensive Landwirtschaft. Wir sehen riesige Felder, vor allem Mais, Obstplantagen, einen Dattelhain und eine Kokosnussplantage. Sogar Wein wird hier angebaut. An den Feldrainen fängt sofort wieder die Wüste an. Calexico kündigt sich an, eine Stadt an der mexikanischen Grenze - der Grenzzaun ist zu sehen - und der Name der Musikgruppe, deren Musik wir gerade hören. Die dazugehörige Stadt in Mexiko heißt übrigens Mexicali. Wir wundern uns nicht, dass wir schon wieder kontrolliert werden.
Nun kommen wir zum Salton Sea, einem großer Salzsee, der unterhalb des Meeresspiegels liegt. Wir verfallen trotzdem nicht in Depressionen ;-). „Wie das Tote Meer“, meint Klaus, „salzig, tief liegend und in einer Wüste.“ Die Drohne darf wieder fliegen. So hoch ist sie noch nie hinaufgestiegen. Am Ufer des blauen Sees stehen Palmen, und man könnte den Eindruck eines Südseeparadieses bekommen.
Weiter geht es nach Norden, durchs Gebirge, in den Josua Tree National Park. Man erkennt an dieser speziellen Agavenart, dass die Sonora-Wüste nun zu Ende ist, und die Mojave-Wüste [ch] anfängt. Mir war gar nicht klar, dass der gesamte Südwesten der USA praktisch aus Wüste besteht. Auch nicht, dass Wüste so wunderschön und vielfältig sein kann.
Auf dem Campingplatz richten wir uns ein, und Klaus zieht natürlich sofort mit dem Fotoapparat los. Wir werden zwei Tage in diesem Nationalpark bleiben.
So, 21. Mai
Heute haben wir einen Ruhetag. Nach dem Ausschlafen wechseln wir den Campingplatz. Die schöneren Plätze weiter oben im Nationalpark waren nämlich gestern - Wochenende - alle voll. „Jumbo-Rocks“, den Namen hat der Platz zu Recht. Hier gibt es große runde Granitbrocken - ähnlich wie in der City of Rocks vor ein paar Tagen - aber um einiges imposanter. Das sind Magmablasen. Die darüber liegenden Schichten sind erodiert. Und hier wachsen auch die Joshua Trees, nach denen der Nationalpark benannt ist und die es nur in der Mojave-Wüste gibt und sonst nirgendwo auf der Welt. Sie wirken wie Bäume, weil sie mehrere Arme haben, die wie Äste aussehen, und können sehr groß werden. Genau genommen gehören sie zur Familie der Agaven. Die Mormonen benannten diesen bizarren „Baum“ nach dem Propheten Joshua, der seine Arme flehend zum Himmel reckt. Der heilige Mann hat wohl auch eine wilde Frisur gehabt ;-). Der Name „cabbage tree“ (= Kohlkopfbaum), den ihm respektlos die Spanier gaben, passt fast besser zu seinem Aussehen. Ganz oft gibt es hier auch den Creosote-Busch. Er ist die am weitesten verbreitete und erfolgreichste Wüstenpflanze. Er hat erstaunliche Strategien entwickelt, in der Wüste zu überleben. Z.B. variiert die Größe seiner Blätter stark mit dem Grad der vorhandenen Feuchtigkeit. Meist reproduziert er sich rein vegetativ, ist also nicht unbedingt auf Befruchtung angewiesen. Er entwickelt neue Wurzeln und Äste, während die alten absterben. So entstehen genetisch identische Busch-Ringe. Die Indianer gewannen ein Pulver aus den Blättern mit nachgewiesener antibakterieller Wirkung. Dieser Busch wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Wenn man aber näher hinsieht, entdeckt man hübsche gelbe Blüten und kleine pelzige Kugeln, die Früchte. Außerdem kommt er ganz ohne Stacheln aus, was ihn sehr sympathisch macht. Wir nützen den Ruhetag zum Radfahren durch die blühende Wüste - gelb, rot, lila, weiß - und für eine kleine Wanderung durch die Felsen. Dabei lernen wir auch einige der BewohnerInnen kennen, viele Eidechsen, niedliche kleine Streifenhörnchen, und ebenso niedliche Hasen mit sehr großen Ohren. Sie heißen kalifornischen Eselshasen. Der Weg ist sehr liebevoll angelegt und mit Schautafeln ausgestattet. So lernen wir endlich die Mojave-Yuccas mit Namen kennen, die im genialen Film „Rango“ eine wichtige Rolle gespielt haben. Mir gefallen die knorrigen Wacholderbüsche mit ihren blauen Beeren und die Wüstenkiefer mit ihren kurzen Nadeln besonders gut. Um die giftigen Desert Oaks machen wir lieber einen Bogen. Wenn man ihre Blätter berührt, gibt das einen lästigen, juckenden Ausschlag.
Wir sammeln Holz. Heute Abend gibt es wieder einmal ein Lagerfeuer. Klaus fotografiert den Sternenhimmel. „The Big Dipper“ ist deutlich zu erkennen = die große Schöpfkelle?? Es handelt sich um den „Großen Wagen“. Auch einen Skorpion können wir auf diese Weise endlich sehen - am Himmel.
Mo, 22. Mai
Wir verlassen einen der vielen schönsten Plätze dieser Reise und wenden uns dem Kontrastprogramm Großstadt zu. Los Angeles wartet auf uns. Es geht ganz schön bergab - auch das Gelände ;-) - von 1500m bis auf Meeresniveau. Auf der Interstate benutzen wir die Car Pool Lane, auf der nur Autos mit mindestens zwei Insassen fahren dürfen. Wir fahren also an den Staus vorbei. Da sieht man ganz deutlich, dass fast alle Autos mit nur einer Person besetzt sind. Auf den verschlungenen Autobahnbrücken leistet uns unser GPS wieder einmal sehr gute Dienste. Wir richten uns in einem RV-Park in einer Vorstadt ein und freuen uns auf eine Dusche. Wir haben nun tatsächlich den amerikanischen Kontinent durchquert.
Di, 23. Mai
Wir bestellen uns wieder einmal ein Uber-Car und lassen uns in fast zweistündiger Autofahrt nach Hollywood bringen, zu den Warner Brothers Filmstudios. Casablanca und My Fair Lady wurden hier gedreht, aber auch Matrix, Harry Potter, Herr der Ringe und viele andere. Auch Inspector Columbo hat hier und in den Straßen von Los Angeles seine Fälle gelöst. Die Besichtigungstour führt zunächst über das Filmgelände. In einem Dschungelstück - vielleicht 200m lang - wurden mehrere Szenen aus „Jurassic Park“ gedreht. Ein Wiesenstück von ein paar m2 mit drei Bäumen diente als Central Park. Ein Teich mit 10m im Durchmesser kann auch das Meer sein. Was mir besonders gut gefällt, ist der „Mittelwesten“ mit kleinen, netten Häusern. So ähnliche haben wir ja erst vor kurzem wirklich gesehen. Die anderen Besucher erkennen begeistert die Häuser wieder, die in ihren Lieblings-Fernsehserien vorkommen. Schließlich sehen wir noch ein Studio von innen, in dem eine Sitcom gedreht wird. Beim Drehen sind tatsächlich Zuschauer dabei, und die Lacher sind echt. Ganz zum Schluss können wir noch zahlreiche Requisiten und Kostüme aus bekannten Filmen bewundern. Die Batmobile sind besonders spektakulär.
Vor den Studios wartet ein Sightseeing-Bus auf uns, und wir hoppen on. Er bringt uns zum Walk of Fame, zum Sunset Strip und nach Beverly Hills, einer eigenständigen Stadt, in der die Reichen und Schönen wohnen. Das Hollywood-Sign auf den Hollywood Hills mitten in der Stadt verbirgt sich lange Zeit vor uns, bis wir es schließlich, eher zufällig, doch entdecken.
1923 wurden die Buchstaben aufgestellt, als Werbeaktion, um hier Grundstücke zu verkaufen. Mit dem Erfolg der Filmindustrie wurde der heute weltweit bekannte Schriftzug das Logo der Traumfabrik. Die Buchstaben wurden bereits mehrmals renoviert, zuletzt 2005.
Einigermaßen geschafft nehmen wir die U-Bahn und einen Vorortezug zurück nach Hause.
Mi, 24. Mai
Wir fahren mit dem Vorortezug, zwei U-Bahnen, einem Uber-Car und einem Schrägaufzug zum Getty Center. Das ist rasch gesagt, aber wir waren alles in allem 3 ½ Stunden unterwegs. Der strahlend weiße, riesige Komplex thront hoch oben auf den Santa Monica Mountains. Die Ausblicke auf Bel Air, die Stadt und die vielspurigen Autobahnen sind spektakulär, und die üppig blühenden Gärten sind wunderschön. Wir sind begeistert. Auch innen wirkt alles weitläufig und offen. Dazu kommt noch die Kunstsammlung. Mich reißt sie nicht wirklich vom Hocker. Vielleicht, weil ich auf dieser Reise schon in so vielen Galerien war. Erwähnenswert finde ich „Die Schwertlilien“ von van Gogh. Das Center wirkt als Gesamtkunstwerk und ist einzigartig in der Welt.
Nun werfen wir uns wieder ins Gewühl der Stadt. Ein weiteres Uber-Car bringt uns zum Chinese Theatre am Hollywood Boulevard. Meine Idee, dorthin zu fahren, meint Klaus, „hat Hand und Fuß...Abdrücke“, nämlich die von vielen Stars im Vorhof. Nun wollen wir uns aber endlich der Keimzelle der Stadt zuwenden: El Pueblo de los Angeles [ch] in Downtown. 40 mexikanische und spanische Siedler haben 1781 die Stadt gegründet und nach der Reina de los Angeles = Königin der Engel benannt. Es ist kaum mehr etwas davon zu sehen. Heute ist L.A. nach New York die zweitgrößte Stadt der USA. Direkt im Stadtgebiet leben ca. 4 Mio. Einwohner, aber mitsamt den Außenbezirken sind es ca. 12 Mio. In Downtown gibt es einige moderne Häuser. Besonders gut gefällt uns die Walt Disney Concert Hall. Die ist wirklich sehr originell. Der berühmte kanadische Architekt Frank Gehry hat sie 2003 gebaut.
Auf den ersten Blick befremdlich empfinden wir die moderne Cathedral of Our Lady of the Angels, ein Klotz mit Tiefgarage. Wir fragen uns, ob sie uns ohne Auto überhaupt hineinlassen ;-). Der Innenraum überrascht uns allerdings. Er gefällt uns sehr gut, und es gibt einen hübschen Garten. Zum Abschied von der Stadt speisen wir köstlich in einem französischen Restaurant.
Die Union Station, der Hauptbahnhof, von dem aus wir wieder nach Hause fahren, weist an der Rückseite deutliche Art déco und an der Vorderseite spanisch-mexikanische Streamline-Elemente auf. Er wurde in den 1930er-Jahren gebaut und zeugt vom damaligen Reiseluxus.
Wir kommen ziemlich müde in unserem RV-Park an, nützen aber doch noch die Segnungen des Campingplatzes und waschen Wäsche. In solchen Fällen wissen wir einen Trockner sehr zu schätzen.