
11. Kapitel: Kanada I
Die Wartezeit und die Formalitäten an der Grenze sind erfreulicherweise unkompliziert. Unser Obst und Gemüse haben wir diesmal vorsorglich aufgegessen, und Feuerwaffen führen wir keine mit. Wir sind jetzt auf dem 49. Breitengrad wie Bayern. Gefühlsmäßig lag KANADA für mich immer viel nördlicher.
Die Queen ist hier nach wie vor das Staatsoberhaupt. Daher zeigen einige Banknoten ihr Bild. Kanada gehört ja nach wie vor ja zum Commonwealth of Nations. Er wurde 1931 gegründet und ist eine lose Verbindung souveräner Staaten - im Ganzen 52 - z.B. Kanada, Südafrika, Australien und Neuseeland, der ehemaligen Kolonien des Vereinigten Königreichs. In Kanada herrscht das metrische System, Kilometer statt Meilen, usw. Wir müssen uns wieder umgewöhnen.
Ziemlich müde erreichen wir unsere Heimstatt für die nächsten drei Tage, am Stadtrand von Vancouver in „the Beautiful BRITISH COLUMBIA“ = B.C. Wir haben ja gehört, dass in Kanada alles noch viel teurer sein soll als in den USA, aber sowohl unser RV-Park als auch das Abendessen in einer wunderbaren Trattoria haben wir als ziemlich preiswert empfunden. Der hiesige Campingplatz mutet fast europäisch an. Die Leute hängen hier doch glatt ihre Wäsche und feuchten Handtücher auf. In den USA ist das total verpönt, teilweise sogar ausdrücklich verboten.
Mo, 10. Juli
Wir schlafen aus, richten uns für die nächsten Tage ein und überlegen, was wir in der Stadt alles besichtigen wollen. Dann klappen wir endlich wieder einmal unsere Fahrräder auf und radeln ca. 7km in die Stadt. Dabei müssen wir die hohe Brücke über den Sound bewältigen. Vancouver stellt sich zu unserer Freude als Radfahrer-Eldorado heraus. Das Stadtzentrum ist eine Halbinsel, also großteils von Wasser umgeben. Außerdem ziehen sich einige Meeresarme weit in die Stadt hinein und wirken wie Flüsse und Seen. Unsere erste Station ist der über 4km2 große Stanley Park an der Nordspitze dieser Halbinsel. Er ist der größte Stadtpark Kanadas und bietet 200km Wander- und Spazierwege. Benannt ist er nach dem damaligen Generalgouverneur, als der Park am Ende des 19. Jhd. eröffnet wurde. Die schön geschnitzten Totempfähle, die sich hier dekorativ ausnehmen, stammen vom indigenen Volk der Coast Salish, die sich wie alle Indianer auch „The First Nation“ nennen. Auch auf unserem Campingplatz haben wir solche Arbeiten gesehen. Sie gefallen uns gut. In ihren Darstellungen spielt das Meer eine zentrale Rolle. Auf einem Felsen im Wasser sitzt die „kleine Meerjungfrau“. Sind wir in Kopenhagen gelandet? Bei näherem Hinsehen stellt sich die Figur als „Girl in a Wetsuit“ heraus, mit Taucherbrille und Schwimmflossen an ihren richtigen Beinen. Sie sieht ihrer Zwillingsschwester aber zum Verwechseln ähnlich. Die Skulptur der „Empress of Japan“ daneben erhebt gar nicht den Anspruch erkannt zu werden. Sogar Regenwald-Vegetation gibt es in diesem Park, ein wunderbares Naherholungsgebiet, das von vielen Spaziergängern, Joggern und Radfahrern genutzt wird.
Großstädtische Hektik bemerken wir auch in Downtown Vancouver nicht. Sie wird „The City of Glass“ genannt, wegen der Hochhäuser mit den vielen Glasfronten, die mit dem Tageslicht ihre Farben wechseln. Das sind vor allem Wohnbauten mit vielen Grünflächen rundherum. Überall gibt es Radwege. Ähnlich wie in Skandinavien sind es die Autofahrer gewohnt, auf die Radfahrer Rücksicht zu nehmen. Uns gefallen auch die vielen Wasserflächen, dir zum Bootfahren und zu verschiedenen Ausflügen einladen. Wir schauen den Wasserflugzeugen beim Starten und Landen zu. Die Temperaturen sind sehr angenehm. Es hat etwas über 20° - hier in Kanada sind das Celsiusgrade - also von Hitze keine Spur. Die Stadt ist übrigens nach dem Seefahrer George Vancouver benannt der, wie der Name schon zeigt, holländische Wurzeln hatte. Sie ist während des Goldrausches in den 1860er-Jahren entstanden. Das Motto der Stadt lautet: „By Sea, Land and Air We Prosper“.
Die heutige Radtour hat uns sehr gefallen. Wir spüren sogar ein wenig unsere Wadeln.
Di, 11. Juli
Mit Ausschlafen ist heute nichts. Schon um 7h holt uns unser Taxi ab- Uber gibt es in Vancouver nicht. Wir haben für heute eine Whale-Watching-Tour gebucht. Damals in Island haben wir Buckelwale gesehen. Hier hoffen wir auf Killerwale - Orcas. Der Veranstalter nennt sich „Prince of Whales“, ein nettes Wortspiel- very british. Der Ausflug geht in die sehr verzweigte Salish Sea, dem Meeresgebiet zwischen Vancouver Island und dem USA-Bundesstaat Washington, vorbei an sehr vielen größeren und kleineren Inseln. Viele davon sind bewohnt- idyllisch aber doch sehr abgelegen. Die Crew an Bord besteht aus sehr freundlichen und kommunikativen jungen Leuten, meist Studenten. Zunächst bekommen wir nur faul herumliegende Seehunde zu sehen. An Land sind die sehr immobil. Die Weißkopfseeadler sind da schon viel attraktiver. Bald entdecken wir auch die ersten Wale, die aus dem Wasser springen und blasen. Klaus hat natürlich das Teleobjektiv im Anschlag.
An der Südspitze von Vancouver Island, der größten nordamerikanischen Pazifikinsel, landen wir. Sie ist ca. 500km lang. Victoria - benannt nach der englischen Königin Victoria - ist die Hauptstadt von Britisch Columbia. Sie liegt am Südzipfel der Insel. Gegründet wurde sie von der uns bereits bekannten Hudson Bay Company als Zentrum des Pelzhandels in den westlichen Gebieten Kanadas. Die ganze Downtown steht unter Denkmalschutz, z.B. das Parlamentsgebäude mit seiner grünen Kuppel und das Vermont Empress Hotel, ein luxuriöses, traditionelles Schlosshotel. Hier haben wir etwas Zeit zur freien Verfügung. Die hübsche Stadt ist viel kleiner als Vancouver. Sie hat 85.000 Einwohner. Vancouver hat im Vergleich dazu ca. 650.000 Einwohner und ist überhaupt die bedeutendere Stadt. Victoria hat sich die britische Kultur bewahrt, mit vielen Pubs. Sogar ein Doppeldeckerbus kommt uns entgegen. Wir spazieren ein wenig herum, und nehmen dann den Shuttlebus zu den hochgepriesenen Butchart Gardens. Viele Blumen und andere Pflanzen, sehr gepflegt, sogar die Mistkübel sind mit Blumenarrangements behübscht. Eine Kunstnatur halt, mit wenig Charakter. 1904 wollte Jenny Butchart den Steinbruch, der durch das Zementgeschäft ihres Mannes entstanden war, verschönern, und begann, etwas anzupflanzen. Im Laufe der-Jahre dehnte sich der Garten aus. Die nächsten Generationen machten weiter. 2004 wurde es zum National Historic Site ernannt. Über 50 Gärtner sind ganzjährig beschäftigt.
Unser Katamaran holt uns um ca. 17h ab, und es geht wieder zurück nach Vancouver. Der schneebedeckte Vulkan Mount Baker taucht auf. Er liegt jenseits der Grenze, in den USA. Auch einige Killerwale zeigen sich wieder. Das Highlight unserer Tour folgt aber erst jetzt. Ein Orca hebt sich senkrecht aus dem Wasser, zeigt uns seinen weißen Bauch und schaut uns an- er hat seine Augen an der Vorderseite. Klaus gelingt ein spektakuläres Foto.
Die Handyfotos der anderen Passagiere können da nicht mithalten. Und schon haben wir neue Facebook-Freunde. Die einzelnen Wal-Individuen sind an Narben und an der Form der Rückenflosse von einander unterscheidbar. Unserer heißt nicht etwa „Willi“ sondern „T101“.
Nach diesem überaus gelungenen Ausflug lassen wir uns wieder per Taxi nach Hause bringen.
Mi, 12. Juli
Heute ist wieder ein Fahrradtag. Der Weg über die Brücke, durch den Stanley Park und am Coal Habour entlang ist uns schon vertraut.
Gastown war früher ein eher heruntergekommener Stadtteil, der nun auf nostalgisch getrimmt wurde. Wir finden es nett hier. Natürlich bewundern wir mit vielen anderen Touristen die Steam Clock. Als „Little Ben“ - sie sieht nämlich ihrem großen Bruder in London sehr ähnlich - pfeift sie dessen Melodie. Wie der Name schon sagt, macht sie das durch Ausstoßen von Dampf. Was für ein Glück, dass wir zufällig genau um 12h Mittag dort sind.
In China Town ist der Dr. Sun Yat-Sen Garden, ein klassischer Chinesischer Garten am interessantesten. Er bietet einen reizvollen Kontrast zu den Beton- und Glasstrukturen in der City. Er ist nach dem chinesischen Revolutionsführer und Staatsmann, dem ersten provisorischen Präsidenten Chinas, benannt. Er wird als Gründer des modernen China verehrt, sowohl in Taiwan als auch in der Volksrepublik.
Als nächstes besuchen wir die große weiße Kugel der Science World und die Public Library, die dem Kolosseum in Rom nachempfunden ist. Im False Creek, der eben kein Creek sondern ein Meeresarm ist, verkehren die kleinen, ovalen - fast runden, Wassertaxis, die uns schon in Victoria so gut gefallen haben,
Wir fahren über eine Brücke und gelangen zur kleinen Halbinsel Granville Island, einem edlen Einkaufs- und Kulturviertel mit vielen Theatern. Ursprünglich war es ein hässliches Industriegebiet. Von hier aus haben wir einen schönen Blick auf die Skyline der Stadt. Wir haben die City-Halbinsel nun im Uhrzeigersinn fast umrundet. Nun radeln wir auf einer ausgewiesenen Fahrradroute quer durch die Stadt, zurück zum Coal Habour, wo wir uns in einem der hübschen Cafés - am Wasser natürlich - laben. Zum letzten Mal keuchen wir nun über die lange Brücke, zurück zu unserem Campingplatz.
Grundsätzlich war Vancouver eine der nettesten Städte, die wir auf dieser Reise besucht haben- irgendwie europäisch. Ich könnte mir sogar vorstellen, da zu leben. Nicht umsonst wird sie als die lebenswerteste Stadt Kanadas bezeichnet. Natürlich gibt es auch hier soziale Probleme. Die Mieten steigen, und viele Menschen sind von der Wohnungslosigkeit bedroht.
Unser heutiges Abendprogramm besteht unter anderem aus Wäsche waschen.
Do, 13. Juli
Wir ziehen wieder los. Vancouver wird uns in guter Erinnerung bleiben.
Aus den Nachrichten haben wir erfahren, dass in vielen Teilen von British Columbia der Wald brennt. Es wurde bereits der Notstand ausgerufen. Gestern haben wir noch im Internet recherchiert, welche Straßen wegen dieser wildfires gesperrt sind. Einige Umwege werden wir in Kauf nehmen müssen. Grundsätzlich wollen wir weiter nach Nordosten. Zunächst fahren wir Richtung Whistler. Wir nehmen den Trans Canada Highway #1. Er fängt in Victoria an. Unser Abschied gilt auch dem Pazifik. Ob wir ihn jemals wiedersehen werden, ist mehr als ungewiss- vielleicht von der anderen Seite, in Japan, China, Neuseeland...
Wir tauchen in tiefe Wälder ein, mit Blick auf schneebedeckte Berge. „Mir g’fållt’s ja in Kanada“, meint Klaus. Die Ortsnamen sind in dieser Gegend zweisprachig angeschrieben, in englisch und in der Sprache der Coast Salish Indianer- völlig unaussprechbar. Z.B.: Squamish = Skwxkxwú7mesh, Whistler = Skwikw Die unterstrichenen Buchstaben sind Klicklaute, aber wie wird wohl der Siebener ausgesprochen?
Wir fahren über die Brandywyne Bridge. Offensichtlich haben wir gerade das Auenland verlassen ;-). Whistler ist ein bekannter Wintersportort. So sieht er auch aus. Alpine Schibewerbe der Olympischen Spiele von Vancouver 2010 wurden hier ausgetragen.
Die Fahrt geht weiter, am Green Lake entlang. Wieder grüßen uns hohe, schneebedeckte Berge, Wälder, Seen- Kanada halt. Nun folgen wir der Duffey Lake Road und erleben einen dramatischen Klimawechsel innerhalb geringer Entfernung. Aus dem Grün der Berge, in denen es oft regnet, geht es in die kargen Salbeibusch-Prärien im Tal des Fraser Rivers. Diese sage bushes rollen - wenn sie vertrocknet sind - in Wildwestfilmen oft dekorativ über die Straße. Hier kann es ziemlich heiß werden. Wir hatten heute 28°. In einem netten Café in Lillooet recherchieren wir nochmals wegen eventueller Straßensperren. Bald finden wir einen schönen Platz für unser heutiges „wildes“ Nachtlager mit Blick hinunter auf den Fraser River und hinauf auf die Bergkulisse. In Kanada ist das wilde Campen übrigens erlaubt, wenn es an bestimmten Stellen nicht ausdrücklich verboten ist. In den USA ist es grundsätzlich verboten, aber auch dort haben wir es mit großem Erfolg gemacht. Von den Waldbränden haben wir bis jetzt noch nichts mitbekommen, außer Verbotsschildern, die besagen, dass man keine campfires anzünden darf.
Fr, 14. Juli
Wir verlassen unseren wunderschönen Vorgarten von heute. Bei Lytton fließt der sedimentbeladene und daher etwas trübe Fraser River mit dem klaren Thompson River zusammen. Sie vermischen sich nicht sofort. Man kann die beiden unterschiedlichen Wasserqualitäten noch eine Zeitlang weiterverfolgen. Wir folgen dem „Thompsi“ weiter, wem sonst ;-). Es geht weiter nach Norden. Wir müssen allerdings ein paar Umwege machen, weil manche Straßen wegen der Waldbrände gesperrt sind. Neben uns schlängelt sich einer der schier endlos langen Güterzüge am Wasser entlang. Die meisten Container scheinen aus China zu stammen. Ein kleines schwarzes Holzkirchlein fällt uns auf. Das schauen wir uns an. Wir sind in Spences Bridge gelandet, einem Dorf, das aus einigen wenigen halbverfallenen Häuschen und ein paar Wohnwägen besteht. Das scheint eine Indianersiedlung zu sein- eine sehr ärmliche. Schließlich entdecken wir noch den Friedhof. Viele Plastikblumen und „Grabbeigaben“ wurden in die Erde der Grabhügel gesteckt. Einem „Cowbow“ und „Chief“- einem christlichen Indianerhäuptling offenbar - hat man seine Stiefel, ein Foto von seinem Pferd, ein Bierglas, Würfel u.ä. halb eingegraben und seinen Hut an den Grabstein gehängt. Einer „Mother“ wurden Kosmetika, eine Dose Pepsi Cola, usw. mitgegeben- sehr schräg. Auf dem Ortsschild steht unter dem Namen „Unincorporated“.
Diesen Zusatz können wir auch bei den folgenden - sehr ähnlichen - Ansiedlungen lesen, die wahrscheinlich jeweils aus einer Familie oder einem Clan bestehen. Als Klaus ein Foto machen möchte, werden wir gleich in den „yard“ gebeten, der eher einem Schrottplatz gleicht. Vor seinem ziemlich kaputten Wohnwagen sitzt ein sehr freundlicher alter Indianer - wahrscheinlich ist er jünger als wir - der sich an seiner Schnapsflasche festhält. Man sieht hier wieder einmal deutlich, dass die heutigen Indianer ihre Zelte durch Wohnwagen ersetzt haben. Nur ganz wenige haben ein Haus. Diese Ortschaften sind keine offiziellen Gemeinden. Sie werden offensichtlich von den Indianern selbst verwaltet. Es gibt aber Wasser- und Stromanschluss. Ein solches Dorf führt den Zusatz „Incorporated since 1946“ auf dem Ortsschild. Da sind sie offensichtlich stolz darauf. Eine ganz moderne „Arena“ - sieht aus wie ein Versammlungsort - und ein „Community Service Center“ samt Gesundheitszentrum wurden offensichtlich für dieses ganze indianische Einzugsgebiet errichtet. Wir sind in eine völlig andere Welt eingetaucht.
Dieser nette Umweg hat sich total gelohnt. So etwas hätten wir auf der Hauptstraße nicht zu sehen bekommen. Überhaupt ist es hier hinterwäldlerisch genug, dass immer wieder Wild auf der Straße spazieren geht und wir auch einige Dickhornschafe, Weißkopfseeadler und Ospreys = Fischadler zu sehen bekommen, diesmal ganz aus der Nähe. Diese Tiere sind bereits ganz selten, vom Aussterben bedroht. Wir gleiten langsam am völlig unregulierten Nicola River und an mehreren kleinen Seen entlang, damit uns nur ja nichts entgeht. So eine „wilderness“ gibt es bei uns in Mitteleuropa nirgends mehr. Von einer Ortschaft zur nächsten sind es hier mindestens 100km. „Schau, Kanada“, rufen wir fast gleichzeitig. Kanada ist sehr dünn besiedelt. Ein ziemlich großer Teil der Bevölkerung lebt an der amerikanischen Grenze.
Bei Merritt ist der Zauber wieder vorbei. Das heiße Ranchland beginnt - 35° - mit Bewässerungsanlagen und intensiver Landwirtschaft. Einen Rancher lernen wir kennen. Klaus spricht ihn auf sein „Pinzgauer“-Kapperl an. Er stammt tatsächlich von dort, ist vor 50 Jahren ausgewandert und hat hier eine Familie gegründet. Zunächst hat er als Holzfäller gearbeitet. Jetzt gehört ihm eine große Ranch mit viel Land und 300 Stück Vieh. Er plaudert locker in seinem heimischen Dialekt mit uns. Seine Frau ist eh gerade auf Verwandtenbesuch in Österreich.
Kamloops wäre unser heutiges Tagesziel gewesen. Wir fahren aber noch ein wenig weiter nach Norden. An den Bergen seitlich und vor uns sehen wir Rauchschwaden und manchmal sogar Flammen. Hubschrauber fliegen mit großen Gefäßen voller Wasser - wohl aus dem Fluss - über uns hinweg. Die Löscharbeiten sind also in vollem Gang. Wir haben nicht erwartet, so nahe an die Waldbrände heranzukommen. Wir wollten nicht sensationslüstern sein, aber Klaus macht natürlich doch ein Foto. Die Feuer wurden übrigens durch Blitze ausgelöst- trockene Gewitter, ohne Regen. Es hat schon sehr lange nicht mehr geregnet. Daher ist alles sehr trocken. Gottseidank brennt es nur jenseits des Flusses.
Am Clearwater River, der uns sicher von den Wildfires trennt, finden wir wieder einen perfekten Platz für die Nacht. Hier sind wir ganz allein. Der Fluss wird seinem Namen gerecht, bis wir uns und unseren Fußabstreifer in ihm waschen.
Sa, 15. Juli
Das war wieder einmal ein toller Platz zum Übernachten. Im Morgenlicht glänzt das Wasser des Flusses wie flüssiges Gold.
Ein bisschen entrisch war uns allerdings hier schon zu Mute. Unsere Telefone funktionieren in Kanada nicht und auch unser Internetguthaben können wir nur in den USA nutzen. Wir sind hier also noch ein wenig mehr von der Welt abgeschlossen. Allerdings gehen wir davon aus, dass alles gut gehen wird. Das Universum hat bisher immer sehr gut für uns gesorgt. Immerhin haben wir uns mittlerweile ein wenig kanadisches Bargeld abgehoben.
Unser Auto ist mit einer Ascheschicht überzogen. Die Hubschrauber sind nach wie vor unterwegs. Der Himmel hat eine ganz eigenartige Farbe.
Unsere Uhren haben uns herausgefordert, einen speziellen „Badge“ zu erwerben. Nur am heutigen Tag ist es möglich das „Nationalpark-Abzeichen“ zu erwandern. Also müssen wir heute eine Wanderung von mindestens 5,6km machen. Ausgerechnet heute sind wir gar nicht in einem Nationalpark. Aber es wird auch so funktionieren. Die hiesige Wells Gray Wilderness eignet sich sicher hervorragend für unser Vorhaben. Falsch gedacht. Die Nebenstraße ist nach einigen Kilometern gesperrt, und es brandelt ganz schön. Also nichts wie weg hier. Wir verlassen also Clearwater- ohne Revival (Creedence Clearwater Revival = CCR, eine Woodstock-Band). Als die Wolken vor uns wieder weiß sind und der Himmel dazwischen blau, atmen wir auf. Jetzt brauchen wir noch einen netten Wanderweg in passender Länge. Grüne Wälder, ein mäandernder Fluss mit smaragdenem Gletscherwasser, Wasserfälle, vor uns die schneebedeckten Rocky Mountains und blauer Himmel mit weißen Wölkchen - eine Bilderbuch-Landschaft. Besonders eindrucksvoll ist der Mount Robson. 3954m ist er hoch. Er erinnert uns an die Alpen in Frankreich. Und wieder weit und breit kein Ort. Bei den Tankstellen steht ja oft ein Schild mit der Aufschrift „No Service, next 200 km“, oder so ähnlich. Als gebrannte Kinder achten wir auf so etwas sehr genau.
Tête Jaune Cache ist der nördlichster Punkt unserer Reise. Der Name leitet sich von einem legendären Trapper her - einem Blondschopf offenbar - der hier sein verstecktes Pelzlager hatte. Interessant, dass der Ortsname französisch ist, der dazugehörige Highway und der See aber Yellowhead heißen, was einfach die Übersetzung ins Englische ist. Wir sind am 52. Breitegrad. Auf dem liegen z.B. auch Berlin und Warschau. Wir haben nun alle vier Himmelsrichtungen ausgereizt. Den östlichsten Punkt unserer Reise- natürlich Wien, den südlichsten- Key West und den westlichsten- Cape Mendocino an der Lost Coast Kaliforniens.
Eine Tafel auf einem Parkplatz preist einen kleine Wanderung zu den Overlander Falls an. Die Strecke entspricht ungefähr der, die wir für unseren Badge brauchen. Benannt sind sie nach Goldsuchern in der Mitte des 19. Jhd. die für ihre Reise von Ontario nach British Columbia nicht den üblichen Weg übers Wasser - ein riesiger Umweg - genommen haben, sondern einen neuen, gefährlichen Weg übers Land ausprobiert haben. Einige von ihnen haben sich in dieser Gegend hier angesiedelt. Nur sehr wenige haben wirklich Gold gefunden.
Die Fälle werden vom uns wohlbekannten Fraser River gebildet. Sein Wasser ist hier an seinem Oberlauf noch ganz klar und unwirklich grün. Wenn wir nicht im Juli sondern im August hier wandern würden, könnten wir den Lachsen bei ihrer Wanderung flussaufwärts zuschauen, und den Grizzlybären - in Kanada gibt es noch welche - beim Fischen. Allerdings hätten wir dann Yellowstone oder die Sonnenfinsternis verpasst. Alles kann man nicht haben.
Auch den Schwarzbären nicht, dessen Haarbüschel wir finden. Sehr unglücklich bin ich allerdings darüber nicht ;-). Wir kommen mit 5,8km in den Beinen zum Auto zurück. Das mit dem heutigen Sonder-Badge ist sich ja haarscharf ausgegangen. Wir fahren weiter nach Südosten. Es geht also grundsätzlich zurück nach Hause. Aber wir haben noch einige Highlights auf dieser Reise vor uns. Am Moose Lake sind die Elche bockig und zeigen sich nicht.
Zum „wilden“ Schlafen finden wir einen Parkplatz am Yellowhead Lake, von dem aus man mehrtägige Wanderungen machen kann. Also kann es auch nicht verboten sein, hier über Nacht stehen zu bleiben.
So, 16. Juli
Heute ist es ziemlich kühl, und es regnet ein bisschen. Unseren letzten richtigen Regen hatten wir Anfang Mai in Kansas. Bis zur Grenze nach ALBERTA, the „Wild Rose Country“ ist es gar nicht weit. Diese Provinz - Kanada hat „provinces“, keine „states“ - ist uns gleich sympathisch. Es gibt hier nämlich eine „Firearm Restriction“. Alberta ist nicht, wie man annehmen könnte, nach dem Ehemann der Königin Victoria benannt, sondern nach einer ihrer Töchter. Alle Aufschriften und Ortsnamen sind jetzt zweisprachig, englisch und französisch. Auch gestern haben wir ja schon französische Ortsnamen gesehen. Zugleich mit dem Grenzübertritt haben wir eine Zeitzone überschritten. Der Zeitunterschied zu Wien beträgt jetzt nur mehr acht Stunden. Alberta hat bedeutende Ölvorkommen und ist die reichste Provinz Kanadas. Sie kann es sich leisten, keine Umsatzsteuer einzuheben- uns ist schon aufgefallen, das der Treibstoff hier besonders billig ist.
Wir sind auf den Weg zum Jasper National Park. Auf einem der dortigen Campingplätze würden wir gerne für zwei Nächte bleiben. Je früher wir dort sind, desto mehr Chancen rechnen wir uns aus, einen Platz zu bekommen. Wir sind nämlich nicht angemeldet.
Der Eintritt in die Kanadischen Nationalparks ist heuer gratis, weil der Staat sein 150-jähriges Gründungsjubiläum feiert. Für heute Nacht gibt es gerade noch einen Platz für uns am Whistler Campground. Für morgen ist schon alles ausgebucht. Wir versuchen, am benachbarten Wapiti Campground einen Platz für morgen zu buchen. Auch hier haben wir Glück. Es hat jemand storniert. Erleichtert, dass wir nun so gut versorgt sind, fahren wir in die Ortschaft, Jasper hinein. Wir wollen ein paar Sachen im Internet recherchieren und mit unseren Lieben zu Hause Kontakt aufnehmen. Also setzen wir uns wieder einmal ins „Fast Food-Büro“, natürlich ohne etwas zu konsumieren. Nachdem wir neben lauter Gift Shops endlich auch eine Grocery gefunden haben, können wir auch unsere Vorräte wieder auffüllen.
Unser heutiger Campingplatz ist sehr weitläufig und besonders schön. Er ist so großzügig angelegt, dass man scheinbar allein im Wald steht. Die Wapiti-Hirsche - sie sind so groß wie Pferde - kommen samt ihren Jungen ganz nahe an uns heran. Sie sind nicht zahm, aber offenbar die Menschen hier gewöhnt. Auch viele kleine und winzige Hörnchen, gestreift und gepunktet, tollen herum. Auf dem Weg zur Dusche gibt es eine Gopher-Siedlung = Ziesel. Überall stehen Warntafeln, dass man keine Lebensmittel und Speiseabfälle im Freien lassen soll, um die Bären nicht anzulocken. „We are very busy with bears“, hat die Rangerin gesagt. Sie hat auch gefragt, ob das ein Problem für und ist. Klaus’ Fotografenaugen haben geleuchtet.
Es hat 8°, wir heizen ein.
Mo, 17. Juli
Kein Regen mehr, aber das Wetter bleibt weiter kühl.
Der Whistler Campground war einer der vielen schönsten Campingplätze dieser Reise. Nur Bären haben uns nicht besucht. Wir fahren weiter in den Nationalpark hinein, entlang einer wunderschönen Flusslandschaft am Athabasca River, wieder total unreguliert mit vielen Seitenarmen und Inselchen. Der Maligne Canyon = der „verflixte“ Canyon – weil er im 19. Jhd. so schwierig zu überqueren war - ist wieder etwas ganz Besonderes. Er ist sehr schmal und sehr tief, 51m. Und jedes Jahr kommt ca. 1mm dazu. Er hat über die Jahrtausende runde Strudelkessel, die sogenannten „potholes“ ausgewaschen. Das Wasser kommt mit großer Wucht daher und wirbelt herum. Es führt Steinchen und Sand mit sich, die wie Schmirgelpapier wirken. Der Canyon wird ja immer tiefer und lässt diese Ausbuchtungen in den Felswänden über sich zurück. Immer wieder sieht man große Felsbrocken, die beim Herunterfallen steckengeblieben sind und sich verkeilt haben. Da der Canyon ja weiter ausgewaschen wird, werden sie eines Tages auf seinen Grund hinunterfallen. Die Wurzeln der Bäume, die ganz am Rand stehen, werden unterwaschen. Die Stämme fallen um und auch sie verkeilen sich, ehe sie irgendwann abstürzen. Die Schlucht ist das Werk des Maligne River auf seinem Weg vom Maligne Lake zum Medicine Lake, den er ab Herbst - weil er da oft austrocknet - meist nicht mehr erreicht. Wir machen eine Rundwanderung, schon allein um dem ziemlich heftigen Touristenstrom zu entgehen. Wir treffen Wanderer, die andere Wanderer getroffen haben, die angeblich einen Bären gesehen haben, aus der Ferne. Klaus montiert das Teleobjektiv, leider vergeblich.
Nach der Mittagspause besuchen wir ein weiteres Highlight des Nationalparks, den Maligne Lake. Schon allein der Weg dorthin hat sich gelohnt. Auf der gegenüberliegenden Fahrbahn bleiben plötzlich Autos stehen. Leute mit steigen aus, zücken ihre Handys und zeigen auf den Hang. Da ist er endlich, unser erster Bär, ein Schwarzbär beim Beeren suchen. Er ist völlig unbeeindruckt vom Interesse der Paparazzi. Das kennt er wahrscheinlich schon. Also waren alle die Warnschilder doch keine leeren Versprechungen. Ich bin allerdings froh, dass er uns hier und nicht auf dem schmalen Wanderweg begegnet ist. Der See ist auch ganz nett.
Beim Rückweg treffen wir unseren Bären noch einmal. Die Aufregung ist jetzt nicht mehr so groß.
Die Sonne ist im Laufe des Tages herausgekommen, und beim Kaffeetrinken auf dem Wapiti Campground, auf dem wir - wie der Name schon sagt - keine Wapitis ;-) sehen, können wir bereits wieder im Freien sitzen.
Nach dem Abendessen - wir haben uns, wie so oft, ganz kreativ etwas Köstliches gekocht -zündet Klaus im bereitgestellten Eisenring ein Lagerfeuer an. Hier ist das erfreulicherweise wieder erlaubt. Zum „Holz machen“ hat mein geliebter Lumberjack in bewährter Weise die Säge von meinem Taschenmesser verwendet.
Di, 18. Juli
Ziemlich kühl ist es heute wieder, 9°.
Unsere Wasserpumpe hat den Geist aufgegeben. Es kommt kein Wasser mehr aus den Hähnen. Schon seit einigen Tagen ist uns der Wasserdruck recht schwach vorgekommen. Wir füllen alle unsere Flaschen und werden uns im Supermarkt noch eine 4L-Bombe spring water dazu kaufen. Wir haben jetzt einen Vorrat von ca. 15 Litern. Vom alten Wohnmobil her sind wir es ja gewohnt, mit Kanistern und Flaschen sparsam zu arbeiten. Außerdem werden wir auf der Weiterfahrt nach einem RV-Repair Ausschau halten.
In unserem bewährten „Internet-Café“ in Jasper recherchieren wir noch ein wenig.
Dann konzentrieren wir uns wieder auf die nächste Etappe unserer Reise. Der Icefields Parkway ist die Verbindungsstraße von Jasper über Banff nach Lake Louise, 230km. Er ist die schönste Gebirgsstrecke Kanadas, und noch dazu perfekt ausgebaut.
Leider ist heute alles ganz diesig und neblig. Man kann von den Naturschönheiten kaum etwas sehen. Ein junger Autostopper aus Polen, den wir ein Stück mitnehmen, erklärt uns, dass das die Rauchschwaden der Waldbrände sind, und dass sich die Feuer mittlerweile auch nach Alberta ausgebreitet haben. Für Jasper gibt es bereits einen Evakuierungsplan. Wir waren es nicht, wir haben unser Lagerfeuer gestern ordentlich ausgemacht.
Die Athabasca Falls werden im Reiseführer als absolutes Muss gepriesen. Die Wasser stürzen sich 23m in die Tiefe, und zwar mit gewaltiger Wucht. Bei den Sunwapta Falls sind wir schon wieder ziemlich abgebrüht. Wir haben schon so viele Wasserfälle gesehen. Außerdem ist diese Strecke eine sehr touristische Angelegenheit. Man fährt fast im Konvoi, wartet bei den Parkplätzen, bis jemand wegfährt, geht einige Meter zum viewpoint, sagt „Wow“, macht ein Foto - Klaus macht eher zwei - und kehrt zum Auto zurück, um dem nächsten Wartenden Platz zu machen.
Mehr Interesse zeigen wir für eine Herde schneeweißer wilder mountain goats mit Jungen, die gerade dabei sind, ihr Winterfell zu verlieren und für einen großen, edlen Wapiti-Hirschen mit prächtigem Geweih. Beim nächsten Stau mit „Ah“ und „Oh“ rufenden Fotografen hofft Klaus inständig aber vergeblich auf einen Elch oder wenigstens ein Karibu. „Ach so, nur ein Bär, schon wieder“. Soll man da überhaupt noch aussteigen ;-)?
Die Straße steigt nun merklich an und führt zum großen Columbia Icefield. Es ist 325km2 groß und wirkt sich wegen seiner Kälteausstrahlung spürbar auf das lokale Klima aus. Bei schlechtem Wetter kann es hier mitten im Sommer durchaus zu Schneeschauern kommen. Der Gletscher bildet eine Dreifach-Wasserscheide. der Mackenzie River mit dem uns wohlbekannten Athabasca River als Quellfluss fließt nach Norden ins Nordmeer. Der North Saskatchewan River bahnt sich seinen Weg nach Osten in den Nelson River und mit ihm in die Hudson Bay. Der Columbia River fließt nach Westen. Seine Mündung in den Pazifik haben wir an der Grenze von Oregon nach Washington in Astoria überquert- 2000km von hier entfernt. Wir parken auf einer riesigen Schotterfläche, offensichtlich einer Seitenmoräne. Der Gletscher ist ja früher noch viel größer gewesen. Er zieht sich - wie alle anderen auch -immer weiter zurück. Man könnte von hier aus eine kleine Wanderung zur Gletscherzunge machen, aber es ist kalt, und man sieht überhaupt nichts. Das würde sich nicht lohnen. Die Smog-Suppe wird immer dichter. Wir können nur erahnen, wie schön und malerisch es hier ist: „Dort siehst du diesen Berg- nicht, und dort siehst du jenen Berg- nicht.“ Klaus macht trotzdem Fotos und hofft auf den „Dunstenferner“ seines Bildbearbeitungsprogramms. Vielleicht werden wir dann sehen, wie es hier aussieht.
Auf dem Wohnmobil vor uns lesen wir „Full Throttle“. Wir haben natürlich gleich eine deutschsprachige Assoziation dazu. Die korrekte Übersetzung heißt ganz harmlos „Vollgas“. Trotzdem möchten wir diese Aufschrift nicht so gerne auf unserem Wagen haben, schon allein deshalb nicht, weil wir ja meistens in sehr moderatem Tempo dahingleiten.
Die ganze Zeit sind wir den Athabasca River entlang gefahren, bis zu seinen „very beginnings“. Jetzt fließt der Fluss neben uns auf einmal in die andere Richtung. Wahrscheinlich ist das jetzt der North Saskatchewan River. In Lake Louise erinnern wir uns wieder an unsere Wasserpumpe und fragen in einer Werkstatt nach. Der Mechaniker meint, dass wir mit unserem Problem auf jeden Fall nach Calgary fahren sollen, und er nennt uns auch eine einschlägige Adresse. Das sind jetzt noch ca. 150 km zu fahren. Wir hatten diese Stadt gar nicht eingeplant. Aber wir sind ja flexibel. Durch den Banff National Park rauschen wir einfach nur durch, auf einer Autobahn erstaunlicherweise. Dann glühen wir wieder auf dem Trans Canada Highway dahin, nach Südosten. Dadurch entfernen wir uns immer weiter von British Columbia und den Feuern. Der Himmel wird erfreulicherweise langsam wieder klarer. Die Rocky Mountains lassen wir nun hinter uns. Wir fahren durch eine sanfte Hügellandschaft. In Springbank, einem Vorort von Calgary finden wir tatsächlich „GuaranteeRV“, ein großes Wohnmobil-Center. Mechaniker sind keine mehr da. Es ist schon zu spät. Aber wir sollen morgen um 7h30 wiederkommen. Zum Übernachten finden wir in diesem Industriegebiet hier einen Parkplatz vor einem Gebäude, das noch nicht bezogen wurde. Hier haben wir es ruhig und ganz ungestört. Nach ca. 400km sind wir heute rechtschaffen müde. Mittlerweile gibt es bei uns einen Running Gag. Immer, wenn einer von uns beiden fragt: „Wo werden wir wohl heute Nacht schlafen“, deutet der andere auf unser Bett hinauf und abtwortet: „Da oben.“ Wir sind einfach überall zu Hause.
Mi, 19. Juli
Der Wecker läutet um 7h. Die Morgentoilette mittels Wasserflasche erinnert uns an alte, weniger komfortable Zeiten im alten Bus. Pünktlich stehen wir bei „Guarantee RV“ auf der Matte. Wir kommen gleich dran. Mehrere Mechaniker kümmern sich um unser etwas kompliziertes Problem und lösen es schließlich. Wir verbringen den Vormittag im gemütlichen Wartebereich mit Kaffeemaschine und WLAN. Außerdem besichtigen wir einige der riesigen Wohnwagenanhänger, die uns auf den Campingplätzen immer wieder aufgefallen sind. Darin kommt man sich wirklich wie in einem richtigen Haus vor, mit Ledercoach, doppeltürigem Kühlschrank, Backrohr, Mikrowelle und allem Drum und Dran. Mit sogenannten „slide-outs“ kann der Wohnraum noch erheblich verbreitert werden. Für wirklich dekadent halten wir das elektrische Kaminfeuer und die drei Fernseher. Unsere Art zu campen ist das nicht. Und außerdem, was da alles auf Reisen kaputt gehen kann... Der Preis von so einem Monster kommt mir recht moderat vor- kostet ca. so viel wie unser Wohnmobil. Da ist allerdings das Zugfahrzeug - ein Pickup - noch nicht dabei. Ca. 16m ist so ein Gespann dann lang, über dreimal so lang wie unser Spuckerl und um einiges länger als ein Autobus.
Wir haben also jetzt eine neue Wasserpumpe. Die alte bleibt auch im Tank, weil sie gleichzeitig als Dichtung dient. Es war eine ziemliche Tüftelei mit diesem europäischen Modell. Weil wir gerade unter Fachleuten sind, lassen wir uns auch beraten, ob wir unsere Reifen tauschen sollten, oder ob wir damit voraussichtlich noch bis nach Hause kommen werden. „Dringend tauschen“ ist der allgemeine Tenor. Also haben wir heute Werkstatttag und fahren zu einem empfohlenen Reifentandler am Stadtrand von Calgary. Der telefoniert viel herum und bemüht sich sehr, weil unsere Reifendimension hier ganz ungewöhnlich ist. Schließlich findet er doch jemanden, bei dem er die für uns passenden bestellen kann. Am Freitag sollen wir wiederkommen. Wir fahren also zurück zu unserem bewährten Schlafplatz von gestern und planen wieder einmal um. Morgen werden wir jedenfalls die Stadt erkunden. Außerdem kochen wir uns köstliches Gemüse-Mischmasch aus unseren Resten, weil wir ja bei unserer Rückreise in die USA kein Obst und Gemüse dabei haben dürfen.
Do, 20. Juli
Heute wollen wir also nach Calgary hineinfahren. Aber… In der Früh finden wir eine Überschwemmung im Eingangsbereich des Wohnmobils vor. Hat das etwas mit der neuen Wasserpumpe zu tun? Kurz darauf sitzen wir wieder im netten Aufenthaltsraum von unserem hiesigen „Sulzbacher“. Die Angestellten begrüßen uns wie alte Bekannte. Die neue Wasserpumpe ist offensichtlich zu stark für unsere Zwecke. Für morgen wird eine schwächere bestellt.
Also besichtigen wir heute doch Calgary, und morgen sind Wasserpumpen- und Reifenmontage dran. Wir liegen sehr gut in der Zeit. Solche unerwartete Aufenthalte sind einkalkuliert.
Auf der Fahrt in die Stadt stechen als erstes die Sportanalagen, die für die Olympischen Winterspiele 1988 gebaut wurden, ins Auge. Die Sprungschanze ist ziemlich hässlich. Unsere in Innsbruck - von Zaha Hadid gebaut - ist viel eleganter. Auch die Bobbahnen und Schilifte wirken jetzt im Sommer eher trostlos. Bald erkennen wir auch das „Saddle Dome“- Stadion mit seinem sattelartigem Dach. Die Silhouette von Downtown ist heute besser zu erkennen als gestern. Der Rauch der Wildfires scheint sich langsam zu verziehen. Blauer Himmel mit weißen Wölkchen gefällt uns eh viel besser.
Calgary ist mit ca. 1 Million Einwohnern die größte und bedeutendste Stadt von Alberta und die viertgrößte von Kanada.
Ursprünglich lebten hier die Blackfoot-Indianer. Die ersten Siedler - um 1860 - waren Bisonjäger.
Wie das Leben etwas später hier aussah, zeigt uns der Heritage Park. So ungefähr könnten Calgary und Umgebung von 1900 bis ca. 1950 ausgesehen haben- nur nicht so sauber. Es ist ein eine sehr große Anlage, liebevoll gepflegt. Manches wurde extra für hier gebaut. Andere Häuser wurden woanders abgetragen und hier wieder aufgebaut. Die Angestellten und die vielen ehrenamtlichen MitarbeiterInnen sind zeitgenössisch gekleidet, alle unterschiedlich, je nach ihren „Berufen“. Vieles ist in Betrieb: Im Postamt - Royal Mail - kann man wirklich etwas wegschicken, in den Läden etwas kaufen, in den Restaurants etwas essen, in den Bars etwas trinken und in der Eisdiele Gefrorenes löffeln. Die Kellnerinnen tragen Häubchen und Rüschenschürzchen. Aus der Bäckerei duftet es köstlich. Im Opera House kann man sich abends Vorstellungen ansehen. „History comes to live“ lautet das Motto. Es gibt auch eine Bahnlinie, auf der eine laut tutende Dampfeisenbahn verkehrt. Klaus läuft ihr mit der Kamera hinterher. Im Bahnhof - samt Kartenschalter und Warteraum mit Bullerofen - und an einigen Haltestellen kann man ein- und aussteigen. Sogar einen altmodischen Vergnügungspark mit „kleinem“ Riesenrad und Schiffsschaukeln gibt es. Klaus interessiert sich besonders für den Billard Saloon - in dem man natürlich auch spielen kann - und die alten Autos „the true horseless carriages“. Die Zapfsäulen der Tankstelle sehen genauso aus, wie die, die wir in der „Geisterstadt“ Bodie gesehen haben. Nur dass diese hier auf Hochglanz poliert sind. Wir bestaunen auch mit Vergnügen einen Wohnwagen aus den 1950er-Jahren. Was für ein Kontrast zu den Riesenmonstern, die wir noch heute früh im RV-Haus gesehen haben. Uns gefallen aber auch die verschiedenen Wohnhäuser, die Schule, das Rathaus mit Bild der Königin Victoria, die Schmiede, die Zeitungsdruckerei, der Zahnarzt, der Friseur, die Wäscherei, das Hotel, die Anwaltskanzlei, der Mietstall mit echten Pferden, die Feuerwehr und die Arztpraxis mit Krankenstation. Eine Kirche gibt es natürlich auch und sogar eine Synagoge. Wir gehen auf hölzernen Sidewalks. Auf der Farm arbeiten die Männer in ihren Latzhosen im Stall - mit echten Tieren - und die Frauen stricken Socken, nähen oder arbeiten in der Küche oder im Garten. All das sieht für uns so seltsam vertraut aus. Wir kennen es aus alten Filmen. Ich denke z.B. an „Unsere kleine Farm“, „die Waltons“ oder „Zurück in die Zukunft“.
Schließlich reißen wir uns los und fahren nach Calgary Downtown. Der Calgary Tower - der obligatorische Fernsehturm - wirkt klein inmitten der modernen Hochhäuser. Es wird eifrig weiter gebaut. Wir spazieren durch eine kleine Fußgängerzone mit älteren Häusern und netten Lokalen, vorbei an „the Bow“, einem modernen, gebogenen Glaspalast aus 2012. Davor steht eine sehr interessante Skulptur eines Frauenkopfs- aus weißem Drahtgeflecht, die „Wonderland Sculpture“. Sie reicht über drei Stockwerke. Auch in dieser Stadt gibt es eine China Town. Auf der Promenade des Bow River flaniert es sich besonders nett. Auf die Devonian Gardens, ein botanischer Garten im obersten Stock eines Einkaufszentrums, haben wir uns besonders gefreut. Sehr schade, dass er gerade renoviert und umgestaltet wird, und man nicht hineinkann. Unser Gesamturteil über die Stadt: „Eh ganz nett“.
Calgary ist eine moderne Stadt, die aber sehr an traditioneller Kultur festhält. Die alljährliche Stampede, das größte Festival Kanadas mit Rodeo und farbenprächtigen Umzügen, haben wir um drei Tage verpasst. Wir haben ja unseren Besuch hier überhaupt nicht geplant, und überhaupt haben wir es ohnehin lieber ruhiger.
Ende der 1940er-Jahren wurden in Alberta große Ölvorkommen gefunden. Deshalb hat sich Calgary von einer von Viehzucht geprägten Stadt zu einer Wirtschaftsmetropole entwickelt. Dementsprechend lautet auch ihr Motto: „Be Part of the Energy“. In den 1980er-Jahren fiel der Ölpreis, und die Stadt geriet in eine schwere Krise, von der sie sich aber mittlerweile wieder erholt hat.
Wir fahren „nach Hause“ auf unseren „lauschigen“ Parkplatz im Industriegebiet.
Fr, 21. Juli
Der Wecker läutet um 7h, Morgentoilette aus der Wasserflasche. Um 8h30 haben wir unseren Werkstatttermin- alles wie gehabt. Das Einbauen der schwächeren Wasserpumpe funktioniert nicht. Sie ist nicht mit unserem System kompatibel. Wieder stundenlanges Getüftel. Schließlich basteln die Mechaniker eine Druckminderung für die gestern eingebaute zu starke Pumpe, damit unsere Anlage nicht ständig überfordert ist. An das neue Geräusch - „klingt wie eine Harley Davidson“, meint Klaus - müssen wir uns erst gewöhnen.
Wir schaffen es bis Mittag zum Reifentandler. Er ist untröstlich. Er hat die richtigen Reifen für uns bestellt, aber die falschen wurden geliefert. Diejenigen, die wir brauchen, gibt es in Kanada einfach nicht. Was machen wir denn jetzt? Unsere beiden Hinterreifen sind in wesentlich besserem Zustand als die Vorderreifen. Also tauschen wir hinten mit vorne. Das gewährt uns etwas Aufschub. Wir werden in den USA nochmals versuchen, welche zu kaufen, vielleicht in Chicago. Es müsste doch möglich sein, nötigenfalls per Luftfracht, Reifen aus Europa zu bekommen. Wir wollen das Auto doch nicht hier auf einem Schrottplatz zurücklassen. Wir ziehen ab und bleiben heiter, und so weiter...
In den benachbarten Campingplatz fahren wir hoch erhobenen Hauptes, wie selbstverständlich hinein, füllen unseren Wassertank, lassen das Abwasser ab, und schon sind wir wieder verschwunden.
Der Smoke hat sich völlig verzogen. Wir sehen in der Ferne die Rocky Mountains- schneebedeckt und sonnenbeschienen. Wir beschließen daher, auf unserem Weg nach Idaho nochmals durch den Banff NP zu fahren und dann durch den National Park, der ist schon in BRITISH COLUMBIA. Hier sieht es aus wie in Tirol, genauer gesagt, wie im Inntal mit einer Prise Dolomiten. Allerdings gibt es hier Wanderwege, die nur für Gruppen ab sechs Leuten empfohlen sind, wegen der Grizzlybären. Das riskieren wir nicht. Wir fahren hauptsächlich nach Süden und nähern uns langsam wieder dem 49. Breitengrad. Die erste Ortschaft nach den Nationalparks ist Radium Hot Springs, ein mondäner Kurort, der auch mit seinem „Alpenhotel“ und seinem Restaurant „Old Salzburg“ nicht bei uns punkten kann. Bald sind wir wieder im Indianerland. Die Nation der Assiniboine hat hier ihr angestammtes Gebiet. Wir kennen sie aus den Lederstrumpf-Geschichten von James Fenimore Cooper. Wir fahren an einigen schönen Seen vorbei und befinden uns unvermutet im „Salzkammergut“. „Da kamma gut lustig sein“, wie es im Lied heißt. Spätestens ab hier sind wir es also wieder. Unser heutiger Schlafplatz liegt am Rande von Canal Flats am Cootenay River, der sich hervorragend zum Auto waschen eignet.
Sa, 22. Juli
Ein wunderschöner, sonniger Tag, blauer Himmel. Klaus hat in der Früh schon Yoga gemacht, als ich noch geschlafen habe. Kanada verabschiedet sich von uns mit grünen Wäldern und türkisen Flüssen und Seen. Klaus hofft immer noch auf seinen Elch.
Bis zur Grenze in die USA sind es noch ca. 200km. Es tut mir einerseits leid, das Land wieder zu verlassen. Meine Vorstellung, dass Kanada wunderschön und kultiviert ist, und dass es mir sympathischer sein wird als die USA, hat sich durchaus bestätigt.
Andererseits sind wir aber auch froh, dass in den USA wieder unsere Telefone funktionieren werden, die wir ja auch für Bankgeschäfte brauchen. Wir hatten für Kanada auch keine Internet-Karte.
Ein Schild weist uns darauf hin, dass wir die Zeitzone zur Pacific Time überschreiten. Sie verläuft nicht an der Landesgrenze sondern entlang der Rocky Mountains. Ab jetzt ist es wieder eine Stunde früher.